Der Choreograph John Neumeier ist ein Legende in seinem Fach. Auch an der Semperoper in Dresden hat der US-Amerikaner oft gearbeitet. Nun kehrt er mit einem sehr persönlichen Stück zurück.
Choreograph John Neumeier sieht im Tanz ein Spiegelbild des Lebens. “Tanz ist für mich die menschlichste Kunst, weil er den Menschen als Instrument benutzt und auch als Sujet”, sagte der 85 Jahre alte Künstler wenige Tage vor der Premiere seines Balletts “Nijinsky”, das er für die Semperoper neu eingerichtet hat. Premiere ist am kommenden Freitag.
Auch bei der Umsetzung literarischer Vorlagen für ein Ballett stehe der Mensch im Mittelpunkt. “Es ist egal, in welcher Zeit das Werk spielt”, erklärte er.
Neumeier wurde in Milwaukee (US-Bundesstaat Wisconsin) geboren. Anfang der 1960er Jahre kam er nach Deutschland und tanzte zunächst beim Stuttgarter Ballett. Von 1973 bis 2024 war er Ballettdirektor und Chefchoreograph des Hamburg Ballett.
Man muss immer nach dem Kern des Werkes fragen
“Ich habe kein Formular, wie ich ein literarisches Stück umsetze. Jedes Stück hat seine eigene Welt”, betonte der Choreograph. Man müsse entscheiden, wie diese Welt ohne Worte sichtbar werden kann. “Was muss ich erfinden, um eine gleiche Wirkung zu erzielen ähnlich der literarischen Vorlage. Ich muss ja immer nach dem Kern des Werkes fragen.”
Neumeier hatte wiederholt auch Stücke mit biblischen Inhalten wie Bachs “Matthäus-Passion” in Tanz umgesetzt. “Letztendlich fasziniert mich die Musik. Es war nicht so, dass ich zuerst ein Ballett über das Leiden Christi machen wollte, sondern ich war fasziniert von der Musik Johann Sebastian Bachs, der Tiefe und Spiritualität, die in dieser Musik liegt.”
Neumeier erinnerte an die Anfänge seiner Karriere in seiner Heimatstadt Milwaukee (US-Bundesstaat Wisconsin.) “Ich war auf einer Universität der Jesuiten. Es war selbstverständlich, dass Glaube Ausdruck in der Kunst finden darf. Der Mensch hat eine rationale, eine emotionale und sexuellen Seite, aber auch eine spirituelle.”
Neumeier: “Mein Stil ist so, wie das Sujet es verlangt.”
Warum solle man diese Seite nicht auch in eine Choreographie bringen? “Das ist meine Auseinandersetzung mit Glauben”, betonte der Künstler. Stilistisch möchte er sich nicht einordnen lassen. “Ich kann nur sagen, es ist zeitgenössischer Tanz. Meine Ausbildung kommt aus dem klassischen sowie modernen Tanz. Mein Stil ist so, wie das Sujet es verlangt.”
Der polnisch-russische Tänzer Vaslav Nijinsky (1889-1950), dem Neumeier im Jahr 2000 ein Ballett widmete, habe in seinem Leben eine besondere Rolle gespielt. “Ich habe die Beschäftigung mit Nijinski immer wieder vertieft und versucht, Ereignisse besser zu verstehen. Aber die Faszination für ihn ist gleich geblieben, wogegen das Interesse sogar immer stärker geworden ist.”
Ein Choreograph will es jedes Mal besser machen
Das Ballett, das jetzt in Dresden auf die Bühne kommt, sei sicher anders als das, was zur Premiere 2000 zu sehen war. “Ich bin nicht stehen geblieben, ich habe mich auch als Mensch hoffentlich weiterentwickelt.” Die Choreographie sei jedes Mal ein bisschen anders.
In seiner Arbeit mit Tänzerinnen und Tänzern empfindet sich Neumeier keineswegs als “Despot”. Er brauche vor allem ihr Vertrauen. “Ich versuche ehrlich zu sein und sage genau, was ich denke, benenne meine Fehler. Diese Form des Dialogs ist ganz wichtig. Ich schreie Menschen nicht an, sondern ich versuche, so genau wie möglich zu erklären, was falsch ist.”
Erfahrungen an junge Generation weitergeben
Einen Auftrag sieht Neumeier in der Vermittlung von Erfahrungen an die junge Generation. Dem diente zuletzt seine tänzerische Collage “Die Unsichtbaren”, die er zusammen mit dem Bundesjugendballett kreierte und die sich mit verfemten Tänzern der NS-Zeit befasst. “Es war mir wichtig, dass junge Menschen verstehen, dass es eine Zeit gab, in der persönliche Freiheiten, die man heute als selbstverständlich kennt, eingeschränkt waren.”
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Publish date : 2025-01-20 05:00:00
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