General Motors ist mit einem Elektroauto zurück auf deutschen Straßen: Mit dem SUV Cadillac Lyriq wagen die Amerikaner das Comeback. Eines ist sicher: Der Auftritt ist gewaltig.
Vor sieben Jahren hat der amerikanische Autohersteller General Motors (GM) Europa verlassen. Mit einer Rückkehr auf den hiesigen Markt liebäugelte man aber schon länger. Nun ist es soweit und mit dem Cadillac Lyriq rollt das erste Comeback-Fahrzeug zurück nach Deutschland. Bei einem Blick auf das Auto fällt es leicht, die Stirn zu runzeln. Auf ein weiteres SUV warten vermutlich die wenigsten. In diesem Fall darf man aber wohl beide Augen zudrücken, denn Cadillac ist eben eine Marke mit großem Auftritt.
Gebaut wird die deutsche Version des Lyriq in Spring Hill, Tennessee. Im Kern ist der Wagen also durch und durch amerikanisch. Das merkt man nicht nur an den Ausmaßen, sondern auch an beinahe lustigen Kleinigkeiten, etwa der US-Steckdose im Fond, die Cadillac bei den Kundenfahrzeugen wohl noch tauschen muss. Im Testwagen konnte man damit ohne Reiseadapter jedenfalls recht wenig anfangen.
An anderer Stelle ist es fast schade, dass General Motors die amerikanischen Bauteile nicht einfach beibehalten hat. Denn der EU-Version fehlen ein paar Dinge, die den Wagen in seiner Heimat so beliebt machen. Da wäre zum Beispiel der Fahrassistent namens “Super Cruise”, der das Abspulen amerikanischer Highways deutlich angenehmer macht.
Elektroauto ADAC 14.47
In Deutschland bleibt davon lediglich ein Tempomat mit Abstandsregelung. Ähnlich beschnitten ist die Beleuchtung des Lyriq: Während die amerikanische Version einen vollbeleuchteten “Kühlergrill” bietet, der das Auto optisch einzigartig macht, müssen Europäer auf diese Lightshow verzichten. Hierzulande ist man – sofern es mit diesem riesigen Auto möglich ist – deutlich zurückhaltender unterwegs.
Doch was bleibt, wenn man sich für den Cadillac Lyriq entscheidet und den Einheitspreis von 80.500 Euro zu zahlen bereit ist? Einheitspreis deshalb, weil beide Varianten (Luxury AWD und Sport AWD) gleich viel kosten und es für beide Modelle nur ganz wenige Optionen (Anhängerkupplung und Dachträger sowie Leder- und Außenfarbe) gibt.
Ein tonnenschweres Federgewicht
Zunächst einmal erwartet die Fahrer ein grundsolides Elektroauto mit ausreichend viel Leistung. Die Motoren leisten zusammen 528 PS, das Drehmoment liegt bei 610 Newtonmetern. Das sorgt für eine Beschleunigung auf 100 Kilometer pro Stunde in 5,3 Sekunden und eine Höchstgeschwindigkeit von 216 km/h auf dem Tacho, danach wird abgeriegelt. Für ein Fahrzeug mit 2,8 Tonnen Leergewicht ist das durchaus beachtlich. Für das hohe Gewicht gibt es allerdings keinen Beifall – das Bruttogewicht von 3,2 Tonnen ist äußerst schnell erreicht und einer Fahrt mit Anhänger sind bei normalem Führerschein zumindest vorerst enge Grenzen gesetzt.
Die gute Nachricht: Während der Fahrt merkt man dem Lyriq sein Gewicht nicht an. Er fährt sich federleicht, dabei beinahe typisch amerikanisch, ist also sehr gemütlich und eher weich abgestimmt. Der Wagen kommt dabei aber nicht ins Schwimmen, wie man es von US-Straßenkreuzern vielleicht kennt. Es heißt, für Europa sei das Fahrwerk etwas straffer eingestellt worden – für den Lyriq ist die aktuelle Einstellung jedenfalls passend. Gut gelöst ist auch der Ein-Pedal-Betrieb mit optional extremer Rekuperation. Zusätzlich gibt es dafür auch eine Lenkradwippe, mit der man stufenlos rekuperieren kann und nach etwas Übung kaum noch auf die Bremse treten muss.
Rasen sollte man mit dem Auto besser nicht, denn bereits im Normalbetrieb braucht er vergleichsweise viel. Auch wenn die Akku-Kapazität bei beachtlichen 102 Kilowattstunden liegt, kommt man nur mit großer Mühe über 400 Kilometer ohne Ladestopp. Im Test pegelte sich der Verbrauch des Lyriq bei etwa 25 Kilowattstunden auf 100 Kilometer ein, allerdings wurde dabei schon auf den Verbrauch geachtet, auf der Autobahn maximal 130 km/h gefahren und viel Stadtverkehr mit entsprechender Rekuperation beigemischt.
Ladetechnik nicht auf dem neuesten Stand
An der Schnellladesäule macht der Lyriq nicht die beste Figur. Das 400-Volt-System erlaubt dem Fahrzeug nur eine maximale Ladegeschwindigkeit von etwa 190 Kilowattstunden, das allerdings nur für sehr kurze Zeit. Von 10 auf 80 Prozent braucht das Fahrzeug etwa eine halbe Stunde – das ist durchschnittlich. Lobend erwähnt werden soll die Ladeleistung an der Wechselstromsäule, denn diese beträgt 22 Kilowatt und macht, besonders beim kurzen Einkauf oder innerstädtischem Parken, einen gewaltigen Unterschied. Der Ladeanschluss befindet sich beim Lyriq vor der Fahrertür, was das Parken vor Ladesäulen vereinfach. Perfekt ist das aber nicht, denn bei Anschlüssen am Straßenrand steht man unweigerlich auf der Straße – und der Stecker ragt seitlich Richtung Verkehr.
Die Kabel verstaut man im Cadillac unter dem Kofferraum. Der doppelte Boden bietet dafür ausreichend Platz. Und auch, wenn der Lyriq kein Packesel par excellence ist, bekommt man doch ordentlich was unter. Mit Rückbank bleiben knappe 800 Liter Stauraum, klappt man die hinteren Sitze um, sind es 1722 Liter. Einen Frunk, also einen Stauraum unter der riesigen Motorhaube, gibt es aus unerklärlichen Gründen leider nicht.
Wer sich Sorgen macht, den Koloss nicht sicher von A nach B manövrieren zu können, wird sich über die zahllosen Kameras am Auto freuen. Zwar ist der herkömmliche Schulterblick durchaus eingeschränkt, aber der digitale Rückspiegel oder das Display und die Totwinkelwarner helfen dabei, nichts umzufahren. Parken kann der Lyriq auf Wunsch alleine, wenn er die gewünschte Parklücke korrekt erkennt. Standardmäßig warnt der Cadillac per Sitzvibration vor Hindernissen. Das ist durchaus gewöhnungsbedürftig, aber man bekommt dafür schnell ein Gefühl. Falls nicht, kann man auf herkömmliches Piepen umschalten.
Willkommen im Wohnzimmer
Im Innern ist der Cadillac ein rollendes Wohnzimmer. Die Sitze sind von der bequemen Sorte und einem Ohrensessel näher als einer Rennschale. Was an Seitenhalt fehlt, mach der Wagen mit gemütlicher Polsterung wieder wett. Zusätzlich gibt es eine – äußerst subtile – Massagefunktion und wahlweise eine Sitzheizung oder -kühlung.
Das große 33-Zoll-Display bietet dem Fahrer alle erdenklichen Informationen zur Fahrt, standardmäßig navigiert das Fahrzeug mit einer angepassten Version von Google Maps. Die Software, hier Android Automotive, reagiert pfeilschnell und bietet sogar einen App Store, in dem man nach Anmeldung bei Google zahlreiche Programme runterladen kann. Und anders als Navi-Apps auf dem Smartphone kennt die integrierte Software den Ladestand. Damit kann sie anzeigen mit welcher Restreichweite man das Ziel erreicht und auch Ladestopps einplanen. Im Test funktionierte das zuverlässig.
Ablageflächen und Staufächer gibt es um Cockpit zur Genüge, die Musikanlage ist State of the Art. Nicht nur, weil die AKG-Lautsprecher wirklich gut klingen, sondern auch, weil sie eine Art Geräuschunterdrückung bieten, die Lärm von Außen abdämpft. Zusammen mit den dicken Fenstern hat das einen erstaunlichen Effekt: Steht man mit dem Cadillac Lyriq neben einer Baustelle, hört man sie nicht. Sobald man das Fenster öffnet, entsteht buchstäblich ein Riss in der Lärmschutzwand und man ist überwältigt, wie laut es “da draußen” eigentlich ist. Zuletzt fiel diese Art von Ruhe im Rolls-Royce Spectre (hier erfahren Sie mehr) auf. Für gestresste Städter ist der Innenraum des Lyriq damit durchaus eine kleine Oase.
In seiner Preisklasse sollte man eine makellose Verarbeitung erwarten. Dem Anspruch wird der Lyriq weitgehend gerecht, wenn man die berüchtigte “B-Seite” außer Acht lässt. Alle Oberflächen, die man auf den ersten Blick sieht, sind wirklich gut gemacht. Es hätte gerne etwas mehr Holz und dafür weniger Klavierlack sein dürfen, aber insgesamt hat GM das gut gelöst. Aber: Fasst man an weniger sichtbare Stellen, etwa die Unterseite der Mittelkonsole, knarzt es gewaltig. Es sind wenige Stellen, aber wenn man sie einmal gefunden hat, weiß man, dass sie da sind. Hier hätte dem Lyriq eine Handvoll besserer Kunststoffverkleidungen gut gestanden.
Fazit Cadillac Lyriq: Ein sympathisches Auto zu einem hohen Preis
In den USA ist der Cadillac Lyriq vor allem deshalb so beliebt, weil er in der kleinsten Konfiguration eine veritable Konkurrenz zum beliebten Tesla Model Y darstellt. Denn die US-Fahrzeuge von Cadillac beginnen preislich bereits bei 59.000 US-Dollar und kommen damit zumindest in die Nähe der Teslas. Dann muss man zwar auf Allrad und einige Annehmlichkeiten verzichten, bekommt aber sehr viel Auto fürs Geld. In diesem Szenario spielen knarzende Innenverkleidungen auch keine große Rolle mehr.
In Deutschland, wo das Auto mindestens 80.500 Euro kostet, begibt sich der Lyriq aber in eine andere Liga. Hier konkurriert er mit dem BMW iX, dem Kia EV9 (hier im Test) oder einem Mercedes-Benz EQE. Das ist harte Konkurrenz etablierter Marken, deren Ruf in diesen Sphären schlicht eine andere Gewichtung hat, als in den Preisklassen darunter. Ob Cadillac mit dem Lyriq als Quasi-Newcomer bei den entsprechenden Kunden punkten kann, wird sich zeigen.
Mehr Menschen hätte man wohl erreichen können, wenn man, wie in den USA auch, mehrere Varianten und viel mehr Zubehör in den Konfigurator gepackt und preislich bei etwa 60.000 Euro begonnen hätte – auch wenn das noch immer viel Geld ist und den Wunsch nach erschwinglichen Elektroautos auch nicht erfüllt hätte. Es mag eine Frage der Zeit sein, aber in den ersten Schritten erscheint das Comeback der Marke recht zaghaft und für viele Interessenten außer Reichweite. Vielleicht ändert sich das mit dem Optiq, der nächsten Neuvorstellung für Europa.
Für sich genommen ist der Lyriq ein gutes Auto mit kleinen Schwächen, das ein wenig amerikanisches Flair nach Deutschland bringt. Zumindest das Raumgefühl der Amerikaner macht kaum ein Hersteller besser. Ist einem das besonders wichtig, kann man über die Vorteile der Mitbewerber vielleicht hinwegsehen. Optisch fällt man – auch ohne die Frontbeleuchtung – jedenfalls auf.
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Author : Christian Hensen
Publish date : 2024-08-26 14:02:00
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