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Pilzdiebe: “Jeder von denen hat ein Messer in der Hand”

Sie kommen vor Morgengrauen und mit böser Absicht: Banden von Pilzdieben plündern deutsche Wälder leer. Auf Streife mit einem Förster, der sie aufspüren will.

Pilze können nicht wegrennen. Sie warten aber auch nicht. Deshalb gibt Timo Hans Vollgas, wenn er die schmalen Straßen des Hunsrücks hochfährt. Der große Rheinländer hockt hinter dem Lenkrad seines Geländefahrzeugs wie ein Zehnjähriger auf einem Bobbycar. Dabei schreit er gegen den Lärm des Dieselmotors an. “Da geht’s fuffzig Meter tief”, brüllt er und nickt den Steilhang zu seiner Linken hinab, der so nah ist, dass man runterspucken könnte. Er grinst und beschleunigt noch mal.

Timo Hans ist Revierförster von Damscheid, einer rheinland-pfälzischen Gemeinde am Mittelrhein. An manchen Tagen kann er den Loreleyfelsen in der Morgensonne sehen. Heute hängt Nebel über dem Tal. “Ich habe hier vor 15 Jahren angefangen”, ruft Hans in den Fahrtwind. “Und seit meinem ersten Tag geht es darum, den Wald gegen Zugriffe von außen zu verteidigen.”

Das Geländefahrzeug rauscht durch einen Tunnel aus herabhängenden Zweigen. Auf dem nassen Asphalt klebt eine Schicht orangebraunroter Blätter. “Was manche Menschen hier machen …” Grimmig poltert er durch ein besonders tiefes Schlagloch. “… das ist kriminell.”

“Hier hat man sie letzte Woche gesehen”

Hans muss seinen Wald vor Holzräubern und sogar Schatzsuchern beschützen. Mit denen sei in jeder Jahreszeit zu rechnen. Zwischen August und Oktober aber fallen Menschen in den Damscheider Forst ein, die besonders aggressiv sind: Pilzdiebe.

“Hier hat man sie letzte Woche gesehen.” Hans biegt auf einen Seitenweg ab und bringt das Geländefahrzeug zum Stehen. Rechts vom Weg erstreckt sich ein Fichtenwald. Der Boden um die dunklen Stämme wirkt wie ausgefegt. Kaum Unterholz, Farne oder Gestrüpp. Nur ein flacher Teppich aus Moos.

“Die Menschen sind willkommen im Wald, aber er ist auch unglaublich schützenswert”: Timo Hans ist Förster im Hunsrück
© Leon Berent

“Beste Bedingungen für Steinpilze”, sagt Hans und steigt aus. Boletus edulis – so der wissenschaftliche Name – ist die liebste Beute der Pilzdiebe. Im Weiterverkauf bringt ein Kilo 20 Euro und mehr ein. “Schon zehn große Exemplare können einen Hunderter wert sein.” Hans spricht jetzt leiser. Wie ein Ermittler an einem Tatort.

Seine Augen springen zwischen den Fichten hin und her, sein Körper scheint angespannt. Dann macht er einen großen Schritt über den Graben, der Weg und Wald trennt.

Körbe und Speiskübel voll mit Pilzen

Zwischen den Fichten ist es still und schummrig. Unter den derben Schuhen des Försters schmatzt das feuchte Moos. Erst geht er langsam und vorsichtig, dann entspannt er sich. “Sie haben alles abgegrast.” Kein Tier, kein Mensch und auch kein Steinpilz sind in Sicht.

An seine letzte Begegnung mit einer Bande von Pilzdieben erinnert sich Hans noch. “Das waren so acht, neun Personen. Als ich sie gesehen habe, waren sie noch weit verstreut. Nachdem ich dann da aufgetreten bin, kamen die alle zusammen.” Während er erzählt, läuft er tiefer in den Wald hinein, überprüft den Zustand von Wurzeln, Rinden und Baumkronen.

“Die haben mich zum Teil richtig angefeindet. Was mir einfallen würde, man würde hier doch nur Pilze sammeln. Ich habe versucht, immer einen gewissen Abstand zu halten, weil jeder von denen hat ja ein Messer in der Hand. Und möglichst am Rand dieser Gruppe zu stehen, um niemanden im Rücken zu haben.”

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Die Situation sei ihm sehr unangenehm gewesen. Er habe die Personen zu ihrem Fahrzeug begleitet und gebeten, den Kofferraum zu öffnen. “Was sie auch bereitwillig gemacht haben. Hätten sie es nicht getan, hätte ich die Polizei hinzugezogen. In dem Auto waren dann Körbe und sogar Speiskübel voll mit Pilzen.”

Das Naturschutzgesetz erlaubt, pro Person und Tag maximal ein Kilogramm Pilze zu sammeln. Im Kofferraum waren deutlich mehr. “Ich habe die Gruppe dann gebeten, die Körbe und Kübel auszuladen und in den Wald zu bringen. Dort mussten die Personen sie dann auskippen, verteilen und in den Waldboden einarbeiten.” So bleibe das biologische Material im Wald und könne als Nahrung für Insekten dienen.

Pilzdieben drohen hohe Geldstrafen

Situationen wie diese gibt es jede Pilzsaison aufs Neue. Immer wieder melden sich Menschen bei Hans, die Gruppen mit Stirnlampen bemerken, die noch vor Morgengrauen durch die Wälder ziehen. Sie zu stellen ist oft Zufall und für Hans mittlerweile zu gefährlich. “Ich würde das heute nicht mehr so machen wie das letzte Mal. Die Menschen werden scheinbar immer unberechenbarer.”

Vor zwei Jahren schlug der Waldbauernverband NRW Alarm. Vorsitzender Philipp Freiherr Heereman sah sich mit dem Problem der Pilzbanden alleingelassen: “Die Gesetzes- und Verordnungslage ist eindeutig. Wir brauchen zum Schutz unserer Wälder keine neuen Gesetze, sondern deren konsequente Durchsetzung”, forderte er in einer Art Brandbrief.

“Die Förster”, so Heereman in dem Schreiben, “können doch der gut organisierten Pilzsammeltruppen allein nicht Herr werden, und der Ruf nach einer ständigen Polizeipräsenz im Wald ist rein theoretischer Natur.” Helfen könnten nur konzertierte Aktionen aller Ordnungskräfte von Polizei, Kommunen und Landesbetrieb Wald und Holz.

“Der Handel mit den Pilzen ist ungebremst”, sagt Heereman heute. “Der Gast im Restaurant freut sich. Für Hirsch, Hase und Wildkatze sind die gut organisierten Suchtrupps ein Schreck.” Echte Hilfe habe er auch nach seinem Brief nicht bekommen. “Regional war es möglich mal den Wald zu sperren. Es wurden Schilder aufgestellt. Das war’s aber auch.” Ob im Wahljahr 2025 Hilfe aus Düsseldorf oder gar aus Berlin kommt, sei fraglich. “Armer Pilz!”

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Die Forderung, Pilze unter Polizeischutz zu stellen, klingt ebenso absurd wie die Fälle, die im Kontext “Schwammerlkriminalität” öffentlich werden. So versuchten zum Beispiel Anfang Oktober mehrere Sammelwütige über 70 Kilogramm Pilze aus dem Schwarzwald über die Grenze Richtung Schweiz zu schmuggeln. Der Zoll erwischte sie auf frischer Tat und verhängte Geldstrafen von über 7000 Euro. Im Herbst 2023 bedrohte ein Pilzsucher einen Förster mit seinem Messer und fuhr ihm dann mit seinem Auto über den Fuß. 2022 zog ein älterer Herr den Waldschützer, der ihn beim Sammeln unerlaubter Mengen ertappte, gar wegen Körperverletzung vor Gericht. Der Prozess endete mit dem Freispruch des Försters.

Gemein ist diesen Geschichten eine Geisteshaltung, die auch Timo Hans viel Zeit und Nerven raubt: “Der Wald wird teilweise als Selbstbedienungsladen angesehen. Der Mensch versteht sich nicht als Gast, sondern als Herr über Bäume, Sträucher und Pilze. Er darf sich an ihnen bedienen, wie es ihm gefällt.”

“Ich bin pilzverrückt”

Der Förster ist einen Bogen gelaufen und steht nun wieder auf dem Weg. “Es gibt noch ein Gebiet tiefer im Wald”, sagt er und steigt wieder auf sein Geländefahrzeug. “Da könnten sie noch sein.” Er lenkt den Waldbuggy nun über unbefestigte schlammige Pfade, die mit leichter Steigung den Hunsrück hinaufführen. Erst werden die Bäume immer dichter, dann lichten sie sich, und Hans bleibt an einem der höchsten Punkte der Region stehe. Mehr als 500 Meter befindet man sich hier über den Wassern des Rheins. Und zwischen den Baumreihen wandert tatsächlich eine einsame Gestalt.

Der Mann heißt Michael und sagt über sich selbst: “Ich bin pilzverrückt.” Einer, der die Fruchtkörper (so nennen Experten den sichtbaren Teil eines Pilzes) stiehlt, um sie zu verkaufen, sei er aber nicht. Sogar der Verzehr scheint für ihn zweitrangig zu sein. “Meine Leidenschaft für Pilze, man kann fast Besessenheit sagen, hat in der Kindheit angefangen.” Als kleiner Junge sei er mit seinem Großvater in ebendiesem Wald auf die Suche gegangen.

Heute besuche er Pilzkongresse und Konferenzen, wo Sachverständige über die mehr als 70.000 in Deutschland nachgewiesenen Arten Vorträge halten. “Wer wirklich weiß, wo genau man suchen muss, der findet auch jetzt noch einen Steinpilz.” Michael hat einen Weidenkorb dabei. Und darin liegt tatsächlich: Boletus edulis. Er sei dafür in ein Dickicht gekrochen, sagt er grinsend. Jemand, der nur aufs schnelle Geld aus ist, mache so was natürlich nicht.

Gemeiner Steinpilz (Boletus edulis)
© Imago

“Das ist schon schade, dass hier so geräubert wird”, sagt er. Schädlich soll das aber gar nicht sein, habe erst kürzlich eine Studie aus der Schweiz gezeigt. Es mache keinen Unterschied, wie rücksichtslos geerntet wird. Im nächsten Jahr kommen alle Pilze zurück. Da muss Förster Hans, der bisher geduldig zugehört hat, widersprechen. “Das mag vielleicht sein. Es gibt aber Mikroorganismen, die sich zum Beispiel speziell vom Fruchtkörper des Steinpilzes ernähren. Für die wird ein derartiger Raubbau zum Problem. Und das kann dann das Ökosystem des gesamten Waldes stören.”

Nach einer kurzen Diskussion verabschieden sich der Waldschützer und der Pilzverrückte voneinander. Als Hans in sein Waldfahrzeug steigt, sagt er: “Das ist halt die Sache: Jeder, der in den Wald kommt, hat eine eigene Perspektive und will etwas anderes vom Wald. Ich muss das alles unter einen Hut bringen.” Dann schwingt er sich wieder in sein Geländefahrzeug und gibt Vollgas.




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Author : Leon Berent

Publish date : 2024-11-08 13:05:00

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