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Merz gegen Scholz: Das Rätsel um die Rente: Wohin will die CDU nun wirklich?


Im neuen Grundsatzprogramm der CDU steht, dass die Menschen länger arbeiten sollen. Viele in der Partei glauben daran. Im Wahlkampf gibt es nun trotzdem eine Renten-Garantie.

Manchmal zeigen sich die größten Rätsel erst auf den zweiten Blick. Die Haltung der CDU beim Thema Rente etwa. Sie scheint beim ersten Blick ins neue Grundsatzprogramm glasklar. Um die Rente stabil und finanzierbar zu halten, spricht viel dafür, die Regelaltersgrenze an die Lebenserwartung zu koppeln. So steht es dort, einstimmig beschlossen im Mai 2024. 

Im Klartext: Je älter die Menschen werden, desto länger sollen sie arbeiten. Sonst ist eine stabile Rente künftig nicht mehr leistbar. So weit, so nachvollziehbar.

Friedrich Merz verspricht: Die Rente mit 67 bleibt

Auf den zweiten Blick allerdings verschwimmt die Position der Union zur Rente, wird, ja, fast rätselhaft. Wann will die Partei das Renteneintrittsalter anheben? Wie viel? Wie will sie sonst das Rentenniveau halten? 

Es ist Wahlkampf. Diese Fragen werden jetzt kommen. Friedrich Merz wird sie beantworten müssen. Und der Kandidat hat inzwischen schon versprochen: “Dieses gesetzliche Renteneintrittsalter sollte bei 67 bleiben.” So sagte es Merz Ende Oktober beim Deutschlandtag der Jungen Union. 

Merz Titelgespräch Heft 0200

Die zentrale Frage aber ist: Sagt Merz das aus Überzeugung oder traut sich die Union bloß nicht, eine unbequeme Wahrheit im Wahlkampf auszusprechen? Mit anderen Worten: Hält Merz’ Zusage bis nach dem Wahltag? Ihm hängt nach, dass er sie ja wirklich einmal forderte, die Rente mit 70. Das war allerdings im Jahr 2000.

“Über Geld spricht man nicht, Geld druckt man.”

Wer in diesen Tagen mit Unionspolitikern über das Thema redet, muss zwei Gespräche führen. Das offizielle geht so: Es gibt keine Erhöhung des Renteneintrittsalters. Das Rentenniveau bleibt. Thema erledigt. Das inoffizielle verläuft häufig anders: Viele mahnen, dass es nicht mehr lange so weitergeht wie bisher. Ein Unionspolitiker sagt ironisch: “Über Geld spricht man nicht, Geld druckt man.”

Man spürt in der Union geradezu die Angst, die Angst vor der Macht der Senioren im Land, die Angst vor dem “Rentenpopulismus” der SPD. So nennen die Strategen in der Parteizentrale, dem Konrad-Adenauer-Haus, das, was Olaf Scholz in diesen Tagen veranstaltet. Die Sozialdemokraten fordern, das Niveau der Altersgelder dauerhaft bei 48 Prozent des Nettolohns festzuschreiben. Sie geben “Renten-Garantien” ab, halten eisern fest an der Rente mit 63. 

Die Rente mit 67 steht. Alles andere sind Phantomdebatten.

Und das, obwohl Studie um Studie belegt, dass zu einem großen Teil jene früher in Rente gehen, die noch länger arbeiten könnten. Jährlich entzieht die Rente mit 63 250.000 erfahrene Arbeitskräfte dem Markt, sie kostet monatlich mehr als drei Milliarden Euro. CDU-Vizefraktionschef Jens Spahn will sie abschaffen. SPD-Kanzlerkandidat Scholz sagte dagegen vergangene Woche: “CDU/CSU und FDP wollen sogar, dass die, die derzeit nach 45 Arbeitsjahren zwei Jahre früher in Rente gehen, das künftig nicht mehr können.” Eine Reform sei unanständig. “Das finde ich schäbig.”

Die Union gibt sich in der Rentenfrage geeint

Austragen will die CDU diesen Kampf lieber nicht, vor allem: nicht jetzt. Die Union gibt sich geeint. Der Vize-Parteichef und Sozialminister von Nordrhein-Westfalen, Karl-Josef Laumann, sagt dem stern: „Mit uns wird es keine Erhöhung des Renteneintrittsalters über 67 geben. Und auch das Rentenniveau muss gehalten werden.” Laumann erklärt das am Beispiel eines Krankenpflegers: “Nach 45 Beitragsjahren liegt hier die Rente bei gut 1.500 Euro netto.” Soweit der Arbeitnehmerflügel der Partei.

Aber auch die Chefin der mächtigen Mittelstandsunion (MIT) pflichtet Laumann bei: “Die Rente mit 67 steht”, sagt Gitta Connemann dem stern. “Alles andere sind Phantomdebatten.” Mit richtigen Anreizen lasse sich viel erreichen. “Wenn jemand früher in Rente gehen will, muss er mit Abschlägen leben”, ergänzt Connemann. Wer länger arbeiten wolle, solle dafür belohnt werden, etwa durch einen steuerfreien Verdienst von 2.000 Euro im Monat.

Merz reagiert nervös auf das Thema Rente

Doch wie nervös die Union bei diesem Thema ist, das zeigt eine Geschichte aus dem August. Connemann hatte damals in einem Interview jene Passage aus dem Grundsatzprogramm der Union zitiert, wonach die Renteneintrittsgrenze sich mit der steigenden Lebenserwartung anpassen müsse. Das müsse die Union auch in der Regierung umsetzen. Merz reagierte verärgert darauf, sprach im Parteipräsidium von einem Vorstoß “aus der fünften Reihe”, wie Teilnehmer später berichteten.

Doch es stehen Entscheidungen an, spätestens nach der Wahl: Das Rentenpaket II wurde zwar noch im alten Kabinett beschlossen, aber nicht mehr im Bundestag verabschiedet. Das Aus für die Koalition kam dazwischen. Falls Friedrich Merz die Wahl gewinnt, muss wohl schon in den Koalitionsverhandlungen eine Lösung gefunden werden. Mit dem Ampel-Rentenpaket war die CDU ja sowieso nicht einverstanden. Unionsfraktionsvizechef Hermann Gröhe sagte in der Debatte um das Paket: “Es braucht einen Neustart in der Rentenpolitik.” Ja, nur wie?

Kein großer Wurf in Sicht

Absehbar ist zumindest, dass die Union den Nachhaltigkeitsfaktor beibehalten will. “Der Nachhaltigkeitsfaktor ist ein Gebot rentenpolitischer Vernunft und der Generationengerechtigkeit”, sagte Gröhe damals in seiner Rede. Die Ampel-Koalition wollte ihn mit ihrem Rentenpaket faktisch außer Kraft setzen und so Rentenerhöhungen garantieren, obwohl das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentnern immer schlechter wird. Der Nachhaltigkeitsfaktor reagiert auf diese Entwicklung seit 2005 und hätte die Rentenerhöhung 2024 beispielsweise um 0,16 Prozentpunkte gedämpft. So sollen die Beitragssätze nicht über die Maßen steigen. Ein großer Wurf ist das nicht.

Wagenknecht Frauenrente 06.13

Klar ist darüber hinaus so viel: Die Union will das Arbeiten über das Eintrittsalter hinaus belohnen, die sogenannte Aktivrente. Auch das steht im Grundsatzprogramm der CDU. Einkommen von bis zu 2000 Euro könnte dann steuerfrei sein. Diese Zahl schlagen MIT-Chefin Connemann und Generalsekretär Carsten Linnemann vor. Hunderttausende Arbeitskräfte, hofft Linnemann, werde man so zusätzlich zur Verfügung haben. Das Stichwort: Flexibilisierung. Größere Abschläge für frühzeitige Renteneintritte, größere Zuschläge für spätere. 

Wird das Kinderstartkapital Teil der Rentenfinanzierung?

Bei der Finanzierung setzt die Union stärker als die SPD auf eine weitere Finanzierungssäule: Jeder Bürger soll eine verpflichtende kapitalgedeckte Altersvorsorge vornehmen. “Die CDU wird darüber hinaus die Vermögensbildung der Bevölkerung stärken”, sagte Partei-Vize Karl-Josef Laumann dazu. “Der Staat sollte dabei insbesondere Menschen mit geringen Einkommen steuerlich unterstützen.” Bestehende Angebote wie die Riester-Rente sollen berücksichtigt werden.

Auch das sogenannte Kinderstartkapital, ein Wunsch von Merz selbst, könnte künftig eine Rolle bei der Finanzierung der Renten spielen: Möglich wäre, dass ein solches staatlich finanziertes Depot erst mit dem Renteneintrittsalter auszahlbar wird. Das Geld könnte bis dahin als Sicherheit für größere Investitionen in ein Haus, Auto oder Unternehmensgründungen dienen. Offen war bisher, wie das finanziert werden könnte. Aber dem Vernehmen nach liegen Ideen auf dem Tisch.

Im Wahlprogramm muss die CDU Antworten liefern

Offen ist, wie die Union mit der Erhöhung des Renteneintrittsalters und der Rente mit 63 umgeht: Reicht ein bisschen Flexibilisierung? Möglich wäre auch – so ist es etwa bei der Jungen Union oder im Wirtschaftsflügel der Partei zu hören –, dass per Gesetz die Möglichkeit geschaffen wird, das Renteneintrittsalter künftig an die steigende Lebenserwartung zu koppeln. Eine Erhöhung des Eintrittsalters selbst würde dann vorerst nicht stattfinden.

Am 17. Dezember will die Union ihr Wahlprogramm vorlegen. Knapp soll es werden, lesbar. Eine Unionspolitikerin hofft: “Wir müssen bei der Rente möglichst konkret werden, Ängste abbauen.” Bisher scheint die Union selbst noch zu rätseln, welche Signale sie eigentlich senden will. War die Rentenpolitik der Ampel nun unverantwortlich oder soll erstmal alles bleiben, wie es immer war?

Eines ist sicher: Bleibt es bei dem Plan der Ampel, dann steigen die Rentenbeiträge für Beschäftigte in den nächsten zehn Jahren von heute 18,6 Prozent auf 22,3 Prozent. Für einen Durchschnittsverdiener sind das rund 150 Euro mehr im Monat. Über diesen Teil seiner Rentengarantie spricht Olaf Scholz aber kaum.




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Author : Julius Betschka

Publish date : 2024-12-05 04:57:00

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