* . * . * .

Hinter der Geschichte: Was mich ein Angeltrip mit ukrainischen Soldaten über den Krieg lehrte


Auf einem spontanen Ausflug während einer Recherche in der Ukraine lernt Moritz Gathmann zwei Soldaten kennen – und merkt, wie ausgebrannt die Menschen mittlerweile sind.

Ihor, so soll er hier heißen, sitzt an diesem ungewöhnlich heißen Oktobertag mit einer Angel am Ufer eines Sees inmitten der sanften, trockenen Hügellandschaft des Donbas. Der Scharfschütze ist mit seinen 25 Jahren einer der besten der Ukraine, hat zwei Kriegswinter hinter sich, Erlebnisse, die man sich kaum vorstellen kann, hat in den Schlachten der letzten Monate die meisten seiner Kameraden verloren. Und Kameradinnen.  

Die Bekanntschaft habe ich dem tschechischen Fotografen Stanislav Krupar zu verdanken, mit dem ich in dieser Gegend schon mehrfach unterwegs war. Stanislav kennt diese Einheit fast seit Kriegsbeginn, hat sich über die Monate und Jahre das Vertrauen der Soldaten und Kommandeure erworben.  

Zwischen Wurst und Brot liegt ein Sturmgewehr

Und so sind wir an diesem Tag auf dem Rückweg aus der Stadt Pokrowsk spontan bei den Jungs vorbeigefahren. Die beiden, Ihor und sein Kamerad, ein großer bärtiger Kerl, der vor dem Krieg Sommelier in einem französischen Fünf-Sterne-Hotel war und dann freiwillig zurückkehrte und an die Front ging, haben frei an diesem Sonntag. Als wir kommen, sitzen sie rauchend vor ihrer Unterkunft, einem Häuschen nahe der Stadt Dobropillja. Dann schlagen sie vor: “Wollen wir Angeln fahren?”.  

Folgen von Syrien-Umsturz für Ukraine-Krieg 18:11

Wenige Minuten später rasen wir mit zwei Autos über staubige Pisten, Brot, Speck und Wurst auf der Hinterbank, dazu eine gute Flasche Whiskey, die ihnen mal jemand mitgebracht hat. Unter dem ganzen Kram schaut die Mündung eines Sturmgewehrs hervor. Hinten an der Ladeklappe des Pickups steht auf einem Aufkleber: “Scheiß auf die Schwächlinge.”

Wir haben auf dieser Reise auch den ehemaligen Kommandeur der beiden kennengelernt, Typ Rambo, die tätowierten Arme dick wie Oberschenkel. Er hat eine halbe Stunde davon erzählt, dass man jetzt nicht nachlassen dürfe, dass man die Russen aus dem Land werfen müsse, weil es sonst nie Frieden geben werde. Dann hat er zwei Schmerztabletten eingeworfen, und dann, als wir etwas vom Thema abkommen, als es gar nicht mehr um die Schrecken des Krieges geht, sondern darum, wie die Menschen in den USA angeblich im Kontrast zur Ukraine einen Kriegsveteranen ehren, wenn er ihnen auf der Straße begegnet, da werden seine Augen glasig. 

Dieser harte Hund, mit Messern und Funkgerät an seiner Schutzweste, mit der Pistole im Halfter, weint. 

Anstoßen auf die toten Kameraden, die anderen das Leben sicherten 

Hier, am See, wird die Idylle nur gestört vom Rattern der Maschinengewehre, nicht von der etwa 30 Kilometer entfernten Front, sondern von Schießständen zwischen den sanften Hügeln, an denen für den Einsatz trainiert wird. 

Die Angeln werden ins Wasser geworfen, aber es geht heute nicht darum, Fische zu fangen. Auf der Ladefläche des Pickups werden Wurst, Brot und Getränke ausgebreitet. Als wir anstoßen, trinken wir noch auf den Sieg, aber es klingt im Herbst dieses Jahres – anders als noch im vergangenen Jahr – wie eine reine Floskel.  

Ukraine IV Franz-Stefan Gady 5:56

Sehr still und sehr traurig werden die beiden Soldaten, als sie auf jene trinken, die nicht mehr unter uns sind. “Sie haben das wertvollste gegeben, ihr Leben, damit wir jetzt hier stehen können”, sagt der bärtige Ex-Sommelier.

Nachdem seine Kameradin, die Scharfschützin Katja, gefallen war, hat Ihor sich ein neues Tattoo stechen lassen: “Carpe diem”, nutze den Tag, und “Memento mori”, bedenke, dass du sterben wirst, steht nun auf seiner Brust über dem Herzen.

Nach drei Jahren Ukraine-Krieg ist es nicht unüblich, für einige Zeit zu desertieren

An einem Tag im Frühjahr hatte er seine Stellung ganz vorne an der Front verlassen, war ins Auto gestiegen und zu seiner Freundin in die Stadt Dnipro gefahren, schon irgendwie desertiert, aber so, dass sein Kommandeur wusste, wo er war. In der ukrainischen Armee ist das nach fast drei Jahren Krieg nicht mehr unüblich.

PAID Chemiewaffen-Experte Hamish de Bretton-Gordon 12.46

“Ich war ausgebrannt”, erinnert sich Ihor nüchtern. “Ich hatte dort im Schützengraben plötzlich schreckliche Angst, war wie gelähmt. Und ich wusste, dass ich für meine Kameraden in diesem Zustand eine Gefahr bin.” Kurze Zeit später starben alle Kameraden, die diese Stellung gehalten hatten, in den Stahlgewittern aus russischen Gleitbomben, Drohnenattacken, Artilleriegeschossen und Kugeln.

Unter den Toten war auch die Scharfschützin Katja Schinkarenko. Über ihren Lebensweg hat Stanislav Krupar eine bewegende Reportage geschrieben, die im Dezember beim stern erschienen ist.  

Albträume jagen die, die nicht mehr kämpfen können

Ihor ist ein paar Wochen später zurückgekommen, auch weil das Geld alle war – er hatte seinen Sold in einem Online-Casino verzockt. In Dnipro erreichte ihn auch die Nachricht, dass er vom Oberkommandierenden der Ukraine für seine Tapferkeit mit einem Goldenen Kreuz ausgezeichnet wurde.

Aber kämpfen will er, nein, kann er nicht mehr. Fürs Erste bilden Ihor und sein Kamerad jetzt hinter der Front neue Rekruten aus. Ihor erzählt von seinen Träumen: Er ist mit seiner Einheit in einer Stadt verschanzt, er sieht den toten russischen Warlord Prigoschin, der den Sturm der Stadt befiehlt. Das ist nah dran an seiner echten Biografie: Gegen Prigoschins Wagner-Söldner hat er in Bachmut gekämpft.

Gegen Abend zischen zwei Raketen über den strahlend blauen Himmel Richtung Front. “Wahrscheinlich Himars”, sagt Ihor schulterzuckend zu mir. Dann schaut er wieder auf seinen Schwimmer, der auf den sachten Wellen des Sees dümpelt. Ich bin der Einzige, der in all den Stunden ein kleines Fischchen fängt, zu klein zum Mitnehmen. Ihor bemüht sich, vorsichtig den Haken herauszuziehen, aber er steckt sehr tief drin. Wir werfen das Fischchen zurück ins Wasser. Das paddelt jetzt unbeholfen, mit Schlagseite. Nach ein paar Minuten treibt es regungslos an der Oberfläche.

Alle Making-Of-Geschichten der stern-Redaktion finden Sie in dieser Übersicht.




Source link : https://www.stern.de/politik/making-of/ukraine–was-mich-das-angeln-mit-soldaten-ueber-den-krieg-lehrte-35334202.html?utm_campaign=alle-nachrichten&utm_medium=rss-feed&utm_source=standard

Author : Moritz Gathmann

Publish date : 2024-12-27 09:51:00

Copyright for syndicated content belongs to the linked Source.

.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . %%%. . . * . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . $ $ $ $ $ $ $ $ $ $ $ $ $ $ $ $ $ $ $ $ - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - . . . . .