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Hinter der Geschichte: Ra(s)tlos im Regierungsviertel: Wie ich das Ampel-Aus erlebte


Wie lief das ab, das Ampel-Aus? Wann ist das Geraune in Gewissheit umgeschlagen? Und was war das für ein Tag, der sich als historisch herausstellen sollte? Ein Blick hinter die Kulissen.

Noch am Morgen des 6. Novembers kommt Katja Mast in den Marie-Juchacz-Saal im dritten Stock des Reichstags gefedert, so wie zu Beginn jeder Parlamentswoche. Bei Kaffee und Butterbrezen informiert die SPD-Fraktionsmanagerin über die aktuellen Themen im Bundestag, auch Fragen können gestellt werden. Ein Standardtermin. Eigentlich. Es liegt an diesem Morgen eine seltsame Anspannung in der Luft.

Wie dramatisch ist die Situation, bekommt die Ampel noch einen Haushalt hin? “Wenn man eine Lösung will, wird es eine Lösung geben”, antwortet Mast. Man kann das vielsagend interpretieren und nichtssagend. Will die FDP denn noch eine Lösung? “Die FDP muss sich selbst entscheiden, ob sie Teil einer Lösung sein will.” 

Solche sperrigen wie ratlosen Sätze prägen diesen Morgen. Das ist der Grundsound im Berliner Regierungsviertel. 

Was passiert da gerade im Kanzleramt? Geht das gut? “Keine Ahnung” lautet eine Antwort, die mir im Verlauf des Tages häufiger begegnen sollte. Niemand kann oder will eine Prognose abgeben, ob der Bundeskanzler, sein Wirtschaftsminister und Finanzminister in ihren Dreiergesprächen noch eine Lösung finden. Oder die Regierung aus SPD, Grünen und FDP platzt. 

Ach ja, da war ja was

Um 12.15 Uhr blicke ich durch eine riesige Fensterfront auf das Reichstagsgebäude. Es steht noch, die Ampel auch. Die “Parlamentarische Linke” (PL), der linke Fraktionsflügel der SPD, hat in einen Konferenzraum mit diesem herrlichem Ausblick geladen. Sechster Stock im Jakob-Kaiser-Haus, also dort, wo die Abgeordneten ihre Büros haben, auf diesem Stockwerk vorwiegend die der AfD. Die SPD-Linken nutzen den Raum häufiger. Wohl auch, um die Rechten ein bisschen zu ärgern. 

“Wie konnte es dazu kommen, wie ist es dazu gekommen?”, fragt Wiebke Esdar in ratlose Journalistengesichter. Sie sei “frustriert”, räumte die PL-Sprecherin ein: Donald Trump wurde vor wenigen Stunden erneut zum US-Präsidenten gewählt, und sie hätte gern Kamala Harris als Siegerin gesehen. Ach ja, da war ja noch was an diesem Tag.

Kann Habeck gegen das Duell klagen? 06.00

Die US-Wahl scheint an diesem Tag nur eine Nebenrolle zu spielen, zumindest in der Berliner Blase. Eine “Hängepartie” beim Haushalt dürfe es jedenfalls nicht geben, betont Esdar, die Situation in den USA habe eine Einigung nochmal dringlicher gemacht. “Wichtig ist, dass wir in diesen Zeiten handlungsfähig sind”, ergänzt Co-Sprecherin Dagmar Schmidt. 

Die Ampel war de facto am Ende

Die Gardinen im Kanzleramt sind immer noch zugezogen, nichts dringt nach draußen. Es ist mittlerweile Abend geworden. Ich kehre nach einem Hintergrundgespräch, aus dem nicht zitiert werden darf, ins stern-Büro zurück. In dem Glauben, dass es knallen könnte – aber nicht mehr heute. Am Tag der Trump-Wahl? Das können die nicht…

Die Ampel-Fraktionen arbeiten ganz normal weiter, verhandeln sogar Gesetze, die in Zukunft beschlossen werden sollten. Es gibt also noch eine Zukunft für die Ampel, denke ich, oder zumindest glauben im Parlament noch ausreichend Abgeordnete daran.

Wenig später ploppt auf meinem Handy die Eilmeldung auf: Lindner bietet Scholz Neuwahlen an. Um 20.35 Uhr kommt die Nachricht: Scholz lehnt ab – und entlässt den Finanzminister. Die Ampel-Koalition ist de facto am Ende. 

Gegen 21 Uhr stehe ich wieder im dritten Stock des Reichstaggebäudes, dort, wo es am Morgen noch Kaffee und Brezen gab und allenfalls Vorahnungen. Alle Ampel-Fraktionen hatten zu Sondersitzungen gerufen. Um die Lage zu sondieren, das weitere Vorgehen zu besprechen. Es geht jetzt Schlag auf Schlag.

21.18 Uhr: Kanzler Scholz erklärt im Kanzleramt den Rauswurf seines Finanzministers. Es ist eine Abrechnung, eine Demontage. 

21.58 Uhr: Christian Lindner tritt aus dem Fahrstuhl, vor die vielen aufgebauten Fernsehkameras im Reichstag und spricht dem Kanzler praktisch jede Kompetenz für sein Amt ab. 

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22.31 Uhr: Kanzler Scholz wird von der SPD-Fraktion mit minutenlangem Applaus empfangen.

22.39 Uhr: Auch die Grünen-Spitze trifft im Reichstag ein, Vizekanzler Robert Habeck trägt ein gezwungenes Grinsen im Gesicht. Eine Grüne scherzt im Vorbeigehen: “Gibt’s was hier? Freibier?” Auch vor dem Fraktionssaal der Grünen lungern Dutzende Journalisten.

23.04 Uhr: SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich erklärt nach der Sondersitzung, alle in der SPD-Fraktion hätten gespürt, dass die Entscheidung des Kanzlers zwar eine schwere, aber notwendige gewesen sei.

Gegen Mitternacht verlassen meine Kollegen und ich den Bundestag, die Notizblöcke vollgeschrieben – und machen uns an die eigentliche Arbeit, die Rekonstruktion eines historischen Tages, die Sie hier nachlesen können.




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Author : Florian Schillat

Publish date : 2024-12-28 07:09:00

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