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Kolumne: Das Wort des Herrn: Warum ich Deutschland liebe


Mit seiner Liebe zu diesem Land stößt unser Autor meist auf Missmut und Verwunderung. Weshalb der Satz trotz aller Schwierigkeiten für ihn gilt.

Ich habe vor anderthalb Jahren ein Buch geschrieben. Es heißt “Kampf und Sehnsucht in der Mitte der Gesellschaft” und beschreibt den Wunsch vieler Einwanderer, in Deutschland heimisch zu werden. Die Ruhrpolen, die italienischen Gastarbeiter, die türkischen Gastarbeiter, die vietnamesischen Vertragsarbeiter, die jugoslawischen Kriegsflüchtlinge, die afghanischen Kriegsflüchtlinge, die syrischen Kriegsflüchtlinge und die ukrainischen Kriegsflüchtlinge, sie alle eint seit einhundert Jahren, dass sie ihre Heimat verließen, in Deutschland landeten und hier hängen geblieben sind. 

Für manche von ihnen war Deutschland Zuflucht, für andere die wirtschaftliche Endstation. Ausnahmslos alle Einwanderer mussten unglaubliche Härten auf sich nehmen, wurden angefeindet und ausgegrenzt. Sie kämpften, blieben beharrlich und ließen sich weder abschieben noch ins Bockshorn jagen. Am Ende wurden viele von ihnen Deutsche. Einige hatten es schwerer als andere. Für manche besserte sich die Lage erst als neue Sündenböcke ins Land kamen. Ein italienischer Bergarbeiter erinnert sich: “Am Anfang war es ganz schlecht. Aber später kamen hinter uns die Türken, dann kamen die Italiener auf eine andere Stufe, die Türken kamen auf die letzte Stufe”. Nachzulesen bei der Historikerin Bettina Severin-Barboutie.

Leitbild für Deutschland? Ein phänomenaler Schwachsinn!

Die Feindlichkeit gegenüber den Anderen erstreckte sich in Deutschland auch gegenüber Deutschen, wenn sie der Mehrheitsgesellschaft nicht deutsch genug waren. Als erst die Heimatvertrieben in das neue Staatsgebiet der Bundesrepublik kamen, dann die Spätaussiedler und mit ihnen die Ostdeutschen als “DDR-Übersiedler” nach Westdeutschland, erlebten sie allesamt dieselbe Ausgrenzung, spürten dieselbe Feindseligkeit und sie empfanden dieselbe Abwertung als Staatsbürger zweiter Klasse, wie neben ihnen die Einwanderer.

Mich fasziniert all das. Ich empfinde es als große Leistung der deutschen Politik, der deutschen Gesellschaft und der deutschen Wirtschaft, derart viele unterschiedliche Menschengruppen in die deutsche Bundesrepublik zu integrieren und den Menschen Zuflucht, Arbeit und Heimat zu bieten. Ich kenne die Fremdenfeindlichkeit, den Rassismus und den Antisemitismus, der tief in die deutsche Seele eingegraben ist. Oft genug schreibe ich darüber, oft genug verzweifle ich darüber. Dennoch kann man nicht verschweigen, was für eine überragende integrative Leistung dieses Land seit vielen Jahren vollbringt.

Wenn ich auf Veranstaltungen rede und diskutiere, mache ich auf diese Ambivalenz und die faszinierende deutsche Geschichte aufmerksam. Auf den phänomenalen Schwachsinn, dass man angesichts einer derart vielfältigen Gesellschaft überhaupt auf die Idee kommen kann, ein ethnisch homogenisiertes Gesellschaftsbild zu formulieren. Und frage dann schmunzelnd, wo sie denn bleibt, die seit 25 Jahren versprochene deutsche Leitkultur. Einen Leitgedanken, ein Leitbild, das alle in diesem Land mitnimmt und ihnen einen Weg in eine bessere Zukunft weist, würden die Menschen hierzulande sofort unterschreiben. Einen Rückfall in die 1950er Jahre möchten nur die Wenigsten.

Ich sage auf beinahe allen Veranstaltungen, auf die ich eingeladen bin, diesen einen Satz, der häufig zu Verwunderung, Abwehr und nicht selten zu Missmut führt.

Ich liebe dieses Land. Ich liebe Deutschland.

Der Kampf um Demokratie braucht Vaterlandsliebe

Die Linken hadern oft mit dem Konzept des Nationalstaats, möchten sich von Vaterlandsliebe abgrenzen und weisen zurecht auf die vielen Verfehlungen hin, die im Namen des Patriotismus begangen wurden. Die deutsche Geschichte ist ja nun wahrlich voll davon. Die Rechten wiederum empfinden es als Sakrileg, dass ihnen ein Einwanderer mit dunkler Haut ihren Markenkern streitig macht. Heimatliebe und Landesverteidigung war eine politische Position, die lange genug rechts der Mitte verhandelt wurde. Zu Unrecht, wie wir angesichts der außenpolitischen Bedrohung durch Russland und die USA nun feststellen müssen.

Ich liebe dieses Land. Ich empfinde Demut für seine Geschichte und Trauer für seine Opfer. Ich bin dankbar, dass ich in einem friedlichen und sicheren Deutschland in der Mitte eines vereinten Europas leben darf. Nicht alles läuft gut, vieles muss besser werden, einiges lässt sich anknüpfen an die Erfolge der Vergangenheit. Der Schmerz, den viele Menschen noch immer in diesem Land empfinden, lässt sich nicht mit einigen wenigen warmen Worten beiseite wischen. Noch immer fühlen sich viele Menschen nicht mitgemeint und haben das Gefühl, “Bürger zweiter Klasse” zu sein. Es ist Raketentreibstoff, mit dem Extremisten jeder Couleur ihren Aufstieg befeuern. Denn der Kampf um die Demokratie und für eine freie Gesellschaft, kann nur dann leidenschaftlich und engagiert geführt werden, wenn man sich mit diesem Land identifiziert, seine Werte teilt und seine Menschen liebt.

Unterkühlt und überhitzt zugleich: Das ist Deutschland

Am 14. Oktober 2015 sagt der CDU-Politiker und Regierungspräsident Walter Lübcke in einem Bürgerhaus in Kassel-Lohfelden folgenden Satz: “Ich würde sagen, es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten. Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist.” Für diesen Satz wird Walter Lübcke später ermordet.

Ich unterschreibe jedes Wort.

Was Lübcke sagt, gilt für Einheimische und Einwanderer, für Christen, Muslime und alle anderen. Dieses Land ist ein gutes Land. Gerade deshalb, weil Menschenwürde, Menschenrechte, Freiheit und Demokratie das Wertefundament dieses Landes bilden. Wer dieses Land verachtet, soll gehen. Wer dieses Land liebt, soll bleiben und sich für dessen Zukunft engagieren.

Trotz aller Differenzen, trotz aller unsachlichen und zuweilen populistischen Debattenbeiträge, bleibt der politische Diskurs selbst im Wahlkampf weitestgehend sachlich und respektvoll. In den USA kann man beobachten, was passiert, wenn autoritäre Kräfte die Macht ergreifen und die Demokratie aushöhlen. Davon sind in Deutschland alle Parteien und Spitzenpolitiker entfernt. Das ist ein großes Glück. Ich hoffe sehr, dass die demokratischen Parteien in der kommenden Legislaturperiode eine stabile Regierung bilden können, um die Herausforderungen, die vor uns liegen zu bewältigen. Ich hoffe es sehr. Weil ich dieses vielfältige, zerrissene, unterkühlte, und gleichzeitig überhitzte Land mag.

Nein, weil ich es liebe.




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Author : Stephan Anpalagan

Publish date : 2025-02-23 05:31:00

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